Jazzthetik 5/6/2012
Von Rolf Thomas
No Schneewalzer. Saxofonistin Christina Fuchs weiss genau, was sie nicht will. Rolf Thomas hat sie es erzählt.
Eine gewitzte, federleichte Musik ist es, die die Kölner Saxofonistin Christina Fuchs und ihr Quartett No Tango auf ihrem zweiten Album zelebrieren. Vertrackte Rhythmen sind dabei nur eine Vorliebe der Bandleaderin.
Wer die Band allerdings als Anti-Tango-Stoßtrupp versteht, sitzt einem Missverständnis auf. “Der Name ist letztlich nicht so ernst zu nehmen”, beschwichtigt Christina Fuchs, “Wir spielen damit. Aber da wir einen Akkordeonisten in der Band haben und viele dabei sofort an Tango denken, fand ich den Namen sehr komisch. Wir setzen eben auf Angriff statt Verteidigung. Wenn jemand eine Schublade sucht, soll er sie haben."
Jener Akkordeonspieler heisst Florian Stadler, treibt sich ansonsten in Klangwelten zwischen Klezmer und poetischer Avantgarde herum und prägt zusammen mit Christina Fuchs den Sound von No Tango. “MIt Florian habe ich vor 15 Jahren eine Tour gemacht” erinnert sich Fuchs, “und wir haben uns sofort gut verstanden. Dadurch habe ich auch das Akkordeon als Instrument entdeckt, denn vorher habe ich es eigentlich gehasst. Für mich gab es nichts Schlimmeres als Akkordeonorchester, die den Schneewalzer spielen.” Davon ist bei Stadler in der Tat nichts zu hören, denn der Mann ist ein Freigeist, der an seinem Instrument längst seinen eigenen Sound gefunden hat und die Musik von No Tango in federleichte Sphären hebt, aber auch ordentlich Druck machen kann.
Zusammengehalten wir der Band-Sound von der rheinischen Rhythmus-Allianz, der Bassistin Ulla Oster (die zu No Tango 2 auch zwei Stücke beigesteuert hat) und dem Schlagzeuger Christoph Hillmann. Hillmann ist bekannt für seine langjährige Mitarbeit in Angelika Niesciers Band Sublim, konnte aber auch im Trio Lembke-Nendza-Hillmann Akzente setzen. Sein Interesse an exotischer Perkussion, die er stets stilsicher einzusetzen versteht, macht ihn für No Tango unverzichtbar. “Christoph hat viel Mitspracherecht”, bestätigt Christina Fuchs. “Da ich keine Schlagzeugerin bin, ergibt es nicht viel Sinn, wenn ich ihm sagen würde, was er zu spielen hat. Da muss und will ich mich einfach auf ihn verlassen.” Und so gelassen, wie Hillmann auf “YallaYalla” den 10/16-Takt trommelt, wird das Stück zu einem reinen akustischen Vergnügen - und nicht zu einer verbissenen Mitzähl-Übung. “Der Rhythmus kommt aus der irakischen Musik”, erzählt Christina Fuchs, die bei dem Stück auf ihre Erfahrungen mit den beiden irakischen Musikern Saad Thamir und Bassem Hawar zurückgreift. “Das Zusammentreffen war Zufall”, erinnert sich Fuchs. “Die beiden waren halt in Köln und wollten spielen, aber es blieb dann dabei. Ich bin neugierig auf andere Musik und andere Länder.” No Tango selbst wurde zwischenzeitlich mal um eine Streichquartett erweitert (No Tango & Strings) – mit dem neuen Album begibt sich das Quartett zurück zu den Wurzeln. “Nach zehn Jahren ist man abgeklärter”, findet die Bandleaderin. “Aber ich setz mich nicht hin und konstruiere eine Konzeptalbum. Auf dem Album kommt einfach alles zusammen, was sich an Kompositionen angesammelt hat. Wenn die Band bei einem Stück sagt, das funktioniert nicht, dann legen wir es wieder weg – das kam aber noch nicht oft vor.“ Die Auslese haben zehn Stücke überlebt, die die ganze Bandbreite der Möglichkeiten ausloten, die in der Band schlummern; ein Faible für schräge Taktarten ist dabei durchweg auffällig. „Ich pflege schräge Metren, weil sie einfach schöner sind“, findet Christina Fuchs. „Das rhythmische Spannungsfeld ist der Boden der meisten Kompositionen. Ich wollte einfach eine gute Mischung- es sind auch normale Dreier- oder Vierertakte dabei.“ Christina Fuchs, die (auch) als Tenorsaxofonistin bekannt wurde, beschränkt sich auf No Tango 2 auf Bassklarinette und Sopransaxophon, was der Musik einen besonders filigranen Charakter verleiht, aber eigentlich mehr pragmatische Gründe hatte. „Bei drei Instrumenten wird es auf der Bühne schwierig“, meint die Saxophonistin. „Ausserdem hängt das Tenor frequenzmässig in der Mitte und würde sich sehr mit dem Akkordeon überschneiden.“ Die Songtitel kleiden den Charakter des jeweiligen Stückes meist in ziemlich passgenaue Begriffe („Haiku“, „Circles“, „Tangomat“), beim Opener „Scuol-Tarasp“ muss man dann aber doch passen - was um Himmels willen soll das bedeuten? „Das sind zwei Orte im Unterengadin“, erklärt Christina Fuchs. „Ich habe dort eine Zeit lang gelebt, weil ich dort ein Stipendium bekommen hatte. Beide Orte liegen auf einem Berg, ich lebte im Tal dazwischen. Und der Schweizer Postbus fährt zwischen diesen beiden Orten hin und her. Der ist mit einem ziemlich auffälligen Dur-Akkord-Signalton ausgetattet, den ich dann zwangsläufig hundert oder zweihundert Mal am Tag gehört habe. Das musste ich mir wohl einfach mal von der Seele schreiben – jedenfalls ist dieser Akkord im ganzen Stüclk versteckt.“