von Volker M Leprich/JAZZTHETIK 2006

Wenn Musikwissenschaftler von der “Zehn-Jahres-Regel” sprechen, meinen sie damit, dass Komponisten nach zehn Jahren Übung ihre ersten bedeutenden Werke schreiben. Christina Fuchs hat die Vorgabe unterboten. Ein kleiner Kompositionsworkshop.

Christina Fuchs ist eine bekannte Unbekannte. Die Komponistin und Saxofonistin stellt eine Hälfte des Kölner Duos KontraSax. Ausserdem ist sie eine der beiden musikalischen Leiterinnen des United Women’s Orchestra, mit dem sie zuletzt beim Jazzfestival in Moers vor vollem Zirkuszelt aufgetreten ist. 1987 begann sie ein Kompositionsstudium in Köln bei Joachim Ullrich. 1992 gründete sie das eben genannte Jazzorchester mit, das – breits nach fünf Jahren- ihre Stücke spielte und heute noch spielt. Sie erhielt Kompositionsaufträge für Theater-, Rundfunk-, und TV-Produktionen. Mittlerweile trägt ein Quartett ihren Namen. Ihr neuester Coup: Sie hat ein mehr als abendfüllendes Programm für die NDR Big Band komponiert. Und sie hat, als dessen Chefin auf Zeit, die Live CD Soundscapes mit Teilen des Programms produziert. Wer seinen ersten Wohnsitz Ende letzten Jahres in Hamburg oder Oldenburg hatte, konnte bei drei Konzerten in den Genuss des Werks kommen. Nun wird der Rest der Republik mit dessen konservierter Fassung beglückt.

An die Arbeit mit der NDR Big Band denkt Christina Fuchs gern zurück. “Alle haben mir vorher gesagt, dass die Band nach Proben und Studioarbeit bei Konzerten noch mal hundert Prozent Energie drauflegt. Und: es hat gefluppt, es hat gegroovt, die haben geil gespielt. Das hat wahnsinnig Spass gemacht. Ich fühlte mich wie ein Fisch im Wasser”, sagt sie, wobei sie ob ihres Überschwanges ein Lachen nicht ganz unterdrücken kann.

Wieder lachen muss sie, als sie auf die Frage, welche Musik ihr gefalle, leicht ironisch antwortet: “Es sind nicht unbedingt immer Sängerinnen. Es ist nicht unbedingt immer Moll.” Die Musik Joni Mitchells berührt sie zum Beispiel sehr. Was Jazz anbelangt, sind Kenny Wheeler und Maria Schneider ihre ganz grossen Favoriten. Ausserdem ist da noch Django Bates. “Django Bates schreibt teilweise Sachen, die ich nicht sofort verstehe. Und mich fasziniert Musik, die ich nicht auf Anhieb verstehe. Was impliziert, dass man sie nicht gleich mitsingen kann. Dann fange ich an, genau hinzuhören, und denke >Hey, was ist da los?< ich glaube, ich schreibe selber auch so, ein bisschen verschlüsselt: Motive tauchen immer irgendwo auf, aber man kann sie nicht richtig dingfest machen. >Textures of Memory (Dauer zwölfeinhalb Minuten) auf meiner aktuellen CD ist ein gutes Beispiel. Was erinnert man, während man das Stück hört? Es gibt ein Motiv, aus dem im Prinzip das ganze Stück besteht. Das Motiv wird vom Klavier vorgestellt, dann greifen es die Flöten auf. Es ist augmentiert, zeitlich gedehnt, sodas man es nicht gleich wiedererkennt. Dann taucht es bei den Blechbäsern auf, fast schon wieder original, aber natürlich in anderer Lage gesetzt und mit anderem Sound. Schliesslich kehrt es zum Klavier zurück. Das ist wie mit Erinnerungsfetzen, die manche wiedererkennen, manche eben nicht. Die Frage, die dahintersteckt, ist: Wie funktioniert Erinnern? Wie funktioniert das Gehirn: Was erinnert es? Oder setzt es etwas neu zusammen? Das finde ich spannend.” So gerne sie lacht, so analytisch ist ihr Denken.

In der Musik von Christina Fuchs wird es nie Hooklines- keine möglichst eingängigen Melodien- oder Rhythm Changes geben- das sind im Prinzip die Harmonien von Gershwins >I got Rhythm<, die einigen Jazz-Gassenhauern und vielen Jamsessions unterlegt sind. “Ich möchte keine Hits schreiben. Das interessiert mich nicht.” Fuchs schafft lieber Freiräume für flächige Klänge ebenso wie für Solisten, wobei vielschichtige, packende Grooves nicht zu kurz kommen. In ihrer Musik gibt es einiges zu entdecken. Es lohnt sich, sich Zeit und Muße dafür zu nehmen.

Als Vertreterin des europäischen Jazz scheint Christina Fuchs >ihren< Sound gefunden zu haben. Man könnte ihren Stil >fuxesk< nennen. Inspiration findet sie in alltäglichen Erfahrungen, deren abstrakte Strukturen sie beim Komponieren im Hinterkopf hat. “Was ich gerne schreibe, sind krasse Brüche. Weil ich finde, dass das Leben so ist. Das Leben ist nicht linear, es hat leider Brüche. Warum soll es die in der Musik dann nicht auch geben?”

Ein wichtiges Prinzipp, das bei der Komposition von Big Band Literatur zu berücksichtigen ist, habe sie angeblich erst in der Zusammenarbeit mit der NDR Big Band voll begriffen. “Der Drummer und der erste Trompeter halten das Zeug zusammen.” Das ist aber vor allem als dickes Kompliment an Trompeter Thorsten Benkenstein und Schlagzeuger Martin France gemeint.

Die Arbeit am Programm für die NDR Big Band begann 2004, im Geburtsjahr ihrer Tochter Zoe. Was lag näher, als ihr ein Stück zu widmen (>Zoe and Me<)? Das Kompositionsprinzip war einfach. “Die Sache liegt klar. Das ist ein Duo Mutter-Kind. Also muss das ein Duo sein, das zwei Leute featured, die natürlich auf meinen Lieblingsinstrumenten Sporansaxofon und Flügelhorn miteinander spielen. Die beiden bewegen sich auf einer harmonischen Grundfläche, eigentlich die ganze Zeit auf einem Grundton, wobei die Akkorde darüber wechseln. Wie das so ist: wenn du ein Kind hast, dann bist du auf einem Grundton.” Sagt sie. Und lacht.

 

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