Fragen von Hans Jürgen von Osterhausen 2010

Christina Fuchs – Über die Mehrdimensionalität in der Kunst

Gut acht Jahre sind seit dem letzten gemeinsamen Interviewgespräch in der Küche einer Dachgeschosswohnung im Schatten der Türme des Kölner Doms vergangen. Bereits damals zeigte Christina Fuchs sich nicht nur als eine überzeugende Jazzmusikerin, Saxophonistin und Klarinettistin, als Chefin des United Women Orchestra, sondern vor allem als einer Künstlerin die an der Mehrdimensionalität der Kultur seit langem besonders interessiert ist und dies in ihre Arbeiten einfließen lässt, in Theaterarbeit oder in das immer wieder bewegende Duo Projekt KontraSax mit der Kontrabassistin Romy Herzberg.

Damals war es das Projekt über die berühmte Schriftstellerin Gertrude Stein. Heute feiert das Duo am 09. Juni seinen 20. Geburtstag in dem neubarocken Treppenhaus des Kölner Oberlandesgericht, das seit langem über die strengen juristischen Regeln und Inhalte des Hauses hinaus durch die besondere Akustik mit einem lang anhaltenden Nachhall eine besondere Rolle im Kölner Kulturleben spielt. Das Programm der beiden Musikerinnen wird mit diesen besonderen akustischen Bedingungen spielen und arbeiten.

Wie sehr Christina Fuchs ihre künstlerische Konzeption nicht nur beibehalten hat, sondern ganz wesentlich ausgebaut, zeigt ein Blick auf die Liste der Werke und Projekte der letzten Zeit, die sich immer wieder verändern, erweitern, verkürzen, aber sich ständig um den schon genannten Begriff der Mehrdimensionalität der Kunst drehen. Die Tatsache, dass dies zwar immer wieder vorkommt im Kulturleben, aber dennoch recht selten ist, markiert die besondere Rolle, die Christina Fuchs spielt, nicht marktschreierisch, wie in den vielen Branchen der populären (Schein-)Kultur, aber sehr nachhaltig und damit auch überzeugend.

In den letzten Jahren hat sie immer wieder Aufsehen durch ihr United Women Orchestra hervorgerufen, das sie zusammen mit der Arnheimer Dozentin Hazel Leach vor 17 Jahren gegründet hatte. Eine Frauen-Big Band, die einen sehr eigenen Ausdruck und Klang hatte im Vergleich zu den üblichen Big Bands, nicht besser oder schlechter, einfach anders, einfallsreich, was Experten wie Reiner Michalke oder John Taylor sehr beeindruckte.

Typisch für eine Künstlerin, die weiß, was sie tut, sah Christina Fuchs nach so vielen erfolgreichen und natürlich auch immer schwierigen Jahren die Zeit gekommen, diese Projekt zu beenden. Sicher kann sie sein, dass damit die Erinnerung an ein herausragendes Projekt unbeschädigt bleibt. Es ist einfach überzeugend, wenn sie heute nach vielen Jahren feststellt, dass sie auch in ihrer persönlichen Entwicklung keinen Sinn mehr darin sieht, eine reine Frauen Band zu etablieren. Natürlich weiß und erlebt sie, dass eine vollständige weibliche Integration in dieser Musik nach wie vor ein Wunschbild bleibt. Aber es hat sich einiges getan, die Rolle der Musikerinnen ist nicht mehr nur auf die Sängerin öder vielleicht einmal ausnahmsweise Pianistin beschränkt.

Aber sie sieht heute andere wichtige Themen, hat zum Beispiel vor Kurzem das Projekt „Soundscapes of Home“ mit den beiden irakischen Musikern Bassem Hawar (Djoze: irakische Kniegeige) und Saad Thamir (irak. Percussion, Gesang) ins Leben gerufen. In einer ständigen Spannung zwischen Komposition und Improvisation werden vor allem in den improvisatorischen Interpretationen die unterschiedlichen kulturellen unterschiedlich Hintergrunde immer wieder abgerufen, überlagern sich und entwickeln eine unglaubliche Spannung. Ein besonderes Beispiel dafür wie man das Zusammentreffen von Kulturen in unserer Gegenwart musikalisch ausdrücken kann. Dazu gehören noch weiter die Cellistin Nora Krahl, der Percussionist und Elektroniker Christoph Hillmann, die Pianistin Laia Genc und der Gitarrist Scott Fields.

Vor diesem Projekt hat sich Christina Fuchs eingebracht in das „Lagash Projekt“ des irakischen Musikers Saad Thamir, in dem es um dessen Kompositionen geht, die einerseits auf der irakischen Musiktradition aufbauen, andererseits diese überwinden oder weiter entwickeln in der Begegnung mit der westlichen Kulturwelt:

Das Projekt mit den beiden Irakern spiele ich schon ziemlich lang. Wie bei allen Bands gibt es natürlich auch Umbesetzungen. So entwickelt sich das Projekt seit einiger Zeit ganz neu. Es gibt die Neubesetzung mit dem Pianisten Jarry Singla. Die Musik ist nun viel klarer und hat mehr Raum für Improvisation.

Aber die irakische Musik hat Rhythmen, die ich bisher noch nie erlebt hatte. Die daraus entstehende Ost-West Begegnung ist das Schöne, das die Band so überzeugend macht.“

Der Kölner Percussionist Christoph Hillmann gehört auch zu ihrem seit einiger Zeit zentralen Projekt „No Tango“, einem Quartett, zu dem noch die Bassistin Ulla Oster und der Akkordeonist Florian Stadler gehören. Natürlich spielen sie keinen Original Tango, aber dessen Assoziationen kommen doch gleichsam durch die Hintertür auf die Bühne, in einer großen Bildhaftigkeit, mit der man sich immer wieder gerne auch über die Laufzeit der gleichnamigen CD oder die 2 Stunden eines Konzerts hinaus beschäftigt.

Fragt man nach, erfährt man, dass die Bildhaftigkeit nichts Zufälliges ist, auf das man als Hörer gestoßen ist:

Bildhaft denken bedeutet, dass ich einen grafischen Plan von dem Verlauf des Stückes mache. Auch die Wechselwirkung zu Bildender Kunst ist spannend. Doch ich ziehe die Musik vor, die sich dauernd bewegt und verändert.

Um die große Klangbreite des Projekts noch weiter auszudrücken, hat sie mittlerweile ein Streichquartett hinzugenommen, zum Beispiel schon mit Erfolg und großer Resonanz aufgeführt im Rahmen des Duisburger Traumzeit Festivals im Jahr 2008.

„Die Einbeziehung eines Streichquartetts hin zu einem Doppelquartett ist ein alt gehegter Wunsch von mir. Dabei geht es mir um die damit verbundene Klangerweiterung, d.h. es ist für mich mehr als nur die Hochachtung vor der Königsdisziplin. In der Einbeziehung eines Streichquartetts sind so viele Klangmöglichkeiten enthalten, die ich noch gar nicht voll ausgenutzt habe, aber dies noch tun werde.“

Nun ist auch der Tonträger mit der CD „No Tango & Strings“ mit dem Sunship String Quartet, Benedikt Hölker und Axel Lindner, Violinen, Radek Stawarz, Viola und Jakob Ernst, Cello, erschienen. Deutlich wird, dass auch die Nähe zur Zeitgenössischen Musik das Schaffen von Christina Fuchs ganz wesentlich prägt, ganz abgesehen von viel Emotionalem: „Feurige Herzblatt-Rhythmen und sentimentale Herbstlaub- Melodien. Und dazu diese mal gleißend-schönen, mal poetisch versunkenen Atemzüge des Akkordeons“, heißt es im Begleittext der CD. Und Christina Fuchs beschreibt selbst auch die einzelnen Stücke, sehr lyrisch poetisch, z.B. bei dem 2. Titel „Jaspis:“ Der Stein im Stein eingeschlossen, eine Miniatur, Kleinod, ein Schatz und auch Mysterium“. Mit dem ersten Titel „Kronos“ verbindet sie eine kleine Huldigung an das Kronos Quartett, das, wie selbst sagt, sie sehr beeinflusst hat.

Diese über das reine Erläutern weit hinausgehenden Äußerungen zeigen noch einmal die Nähe der Musikerin zur Poesie.

Beeindruckend ihr Werkeverzeichnis insoweit:

Es ging los mit einem Kompositionsauftrag des NRW Literaturbüros im Jahr 1996 zu Barbara Maria Kloos, gefolgt von dem erwähnten Gertrude Stein Projekt. Dann kam 2001 das Elfriede Jelinek Projekt „Die Klavierspielerin“, 2007/08 das Patricia Highsmith Projekt „Der Schrei der Eule“ und dann 2008 gelesen von iris Berben das Anna Gmeyner Projekt „Manja“. Natürlich alles immer in dem bewährten 20 Jahre alten Duo KontraSax.

Heute beschäftigt sie sich mit Herta Müller, deren bildhafte Sprachgewalt natürlich eine Musikerin wie Christina Fuchs nachhaltig bewegt. Man darf auf das nächste Projekt gespannt sein.

Eine ganze Reihe von Arbeiten über die Literatur hinaus vervollständigen die Sicht auf ihr vielseitiges Gesamtwerk bis heute, auch wenn manches wie die Filmmusik zur Zeit zumindest nicht aktuell ist:

Unter dieser Rubrik „Filmmusik“ finden sich Projekte wie „Auf der Transsib“ für die ARD 2007, „Massai-Massai“, TV-WDR 2001 oder „Menschen des Morgens“ ebenfalls eine WDR-TV Produktion aus dem Jahr 1999.

Bühnenmusik hat es gegeben, z.B. zu Heiner Müllers „Prometheus“ 1990/91 in Bamberg oder zu einer musikalisch-szenischen Lesung am Burgtheater Wien 1994 oder zu Judith Herzbergs „Frühling, ach ja“ am Schauspiel Bonn 1992/93.

In den 90ern tat sie sich weiter hervor mit Hörspielmusik oder Tanzprojekten oder schließlich mit Performances, zum Beispiel „Hörspiel 1“ von Samuel Beckett.

Viel Interesse fand dann schließlich vor kurzem, zurück in der Welt des Big Band Jazz, das Projekt mit der NDR Big Band, eine Konzertaufnahme aus dem Jahr 2005, die NDR Big Band zum ersten Mal unter weiblicher Leitung. Die große Bildhaftigkeit und Ausdruckskraft von Christinas Kompositionen sind auch hier zu erleben, festgehalten auf der CD „Soundscapes“ auf Jazzhausmusik.

Noch einmal befragt nach den Musiktraditionen, die sie geprägt haben, sagt sie: „Viele sog. Musiktraditionen, die mich spürbar beeinflusst haben, sind mir eigentlich nicht bewusst . Natürlich gab es Kinderlieder oder die Blaskapelle, in der ich groß geworden bin. Und dann kam auch die ganze Klassiktradition. Die Neue Musik kam später gerade hier in Köln dazu. Beeinflusst haben mich aber vor allem die Spielformen jenseits der Tradition. Ich finde gerade die damit verbundene generelle Öffnung gut. Man muss nicht halt machen und meinen, es gehe nicht weiter. Es geht immer weiter. Entscheidend ist, dass der Kopf frei ist.“

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