Fragen von Hans Jürgen von Osterhausen 2002

In der aktuellen Jazzszene gibt es immer wieder Individualisten, die nicht nur durch die Beherschung eines Instrumentes, Leistungen als Bandleader oder Komponist auf sich aufmerksam machen, sondern die Musik als Teil der Künste der Gegenwart verstehen, bei denen verschiedenartige kreative Visionen zusammentreffen. Die 1963 in München geborene und in Freiburg aufgewachsene Saxophonistin und vor allem Komponistin und Arrangeurin Christina Fuchs gehört zu diesen Persönlichkeiten, für die die improvisierte Musik nicht nur ein qualifiziertes Mittel der Unterhaltungskunst ist. Theater, Literatur und Tanz, aber auch die Nähe zur Bildenden Kunst gehören zu ihrem künstlerischen Alltag.

Ihre musikalischen Anfänge gehen in die dörfliche Blasmusik ihrer Heimat zurück, die sie letztlich aber nicht behindert hat, sondern ihr den Weg der persönlichen Emanzipation, der eigenen Entwicklung in vielfacher Hinsicht eröffnet hat. Interesse an Literatur führte zunächst auch zu einem Studium der Germanistik, das sie aber später schon in fortgeschrittenem Zustand abbrach. In Freiburg lernte sie den Jazz über die dortige Szene und viele Gastspiele kennen und lieben. Irgendwann wusste sie, dass sie auf der Stelle trat, dringend einen Ortswechsel brauchte.

Dieser führte sie geradewegs nach Köln, wo sie seit 1987 lebt. Sie begann dort ein Studium an der Musikhochschule vor allem bei Joachim Ullrich und Siegfried Köpf und fing an gleichzeitig in den unterschiedlichsten Bereichen zu arbeiten. Heute hat sie eine lange Liste interessanter Werke, Projekte und Veröffentlichungen aufzuweisen, die sie in Grenzbereiche des Jazz, der Neuen Musik und Avantgarde führen: Filmmusiken zum Beispiel zu der TV Produktion des WDR “Massai-Massai” oder für das Magazin “Frauenfragen”, Bühnenmusik, ein in Deutschland viel zu seltenes Genre, u.a. zu Judith Herzbergs “Frühling, ach ja” im Schauspiel Bonn 1992/93, Heiner Müllers “Prometheus” 1990/91 in Bamberg oder ganz aktuell eine Bühnenfassung von Elfriede Jelineks “Die Klavierspielerin” mit Renate Fuhrmann und der Gruppe Kontrasax in Köln in 2001 uraufgeführt. Diese Gruppe, ein Duo betreibt sie seit Jahren mit der Bassistin Romy Herzberg. Wichtig für sie sind Literaturvertonungen wie das Gertrude-Stein-Projekt oder Tanzprojekte wie “3 dancers approaching” mit dem International New Tapdance Theatre.

Seit 1993 leitet sie zusammen mit Hazel Leach aus Arnheim das United Women’s Orchestra , mit dem sie nach “The Red One” und “The Blue One” kürzlich ihre dritte CD mit “Virgo Supercluster” vorgelegt hat. Besonders erwähnenswert sind außerdem die beiden Kontrasax-Veröffentlichungen “KontraSax” und “KontraSax Plays Gertrude Stein”. Sie gewann Preise (z.B. Jazz-a r 12002 und den US-Julius-Hemphill-Preis für Komposition), und erhielt Stipendien, die sie vor allem nach New York führten.

Wie ist das United Women’s Orchestra entstanden?

Das ist schon lange her. Es entstand aus der Idee einer alten Freundin aus Freiburg, als ich gerade dort weggegangen war. Ich hatte in Freiburg mit einer Frauen-Big-Band gute Erfahrungen gemacht. Ich war damals noch nicht weit, konnte noch nicht richtig improvisieren. Aber sie hat mir den Raum gegeben, den man braucht. Meine Freundin schlug dann vor, lass uns das doch auf Bundesebene machen.

Was ist denn das Besondere an dem Orchester? Ich habe schon in meiner Jazz-Podium-Kritik der vorletzten CD geschrieben, dass ihr eine ganz eigene Art habt, mit dem Sound umzugehen, eine eigene Erzählweise. Was unterscheidet die Frauenband von anderen, in denen du gespielt hast?

Zeit ist ein gutes Thema, die Herangehensweise mit mehr Zeit. Die Entwicklung der Musik, ihrer Qualität ist einprogrammiert. Auch der soziale Aspekt ist etwas Besonderes. Es gibt mehr Teamprozesse, für die auch Zeit ist. Wenn jemand etwas nicht sofort kann, wird ihm Zeit gelassen, es sich zu erarbeiten. Das hat sich allerdings inzwischen geändert hat, was mit der Qualitätsentwicklung zu tun hat. Dennoch ist der Arbeitsmodus immer noch ein anderer als üblich, kollegialer oder konstruktiver. In den anderen Bands gibt es dieses “Jetzt bring’s, sofort”. Man muss da sehr auf Draht sein.

Als ich euch zum ersten Mal gehört habe, fiel mir das auch auf, dass das Musik ist, die sich Zeit nimmt, die nicht wie eine amerikanische Band so einfach drauf geht.

Wir haben ja auch längere Titel. Auch gehe ich anders an das Konzept heran. Da geht es um Geschichten erzählen, um Drama, und nicht nur so ein Thema. Man kann eben in vier Takten keine Geschichte erzählen. Wenn ich ein neues Stück schreibe, brauche ich eine Geschichte. Das muss nur eine Idee, das können abstrakte Bilder sein, wie abstrakte Kunst. Die Künstler erzählen ja auch Geschichten, auch wenn die selten einen konkreten Inhalt haben.

Das Besondere deiner Musik ist, dass sie sich zwischen Wort und Bild bewegt, wie mit der Dramaturgie eines Textes.

Auch Tanz kann dazugehören, ich habe da keine besondere Präferenz. Alles was sich abstrahierend zu schaffen macht, ist gut brauchbar. Kunst neigt immer dazu, abstrakt zu sein. Das ist für meine Ideenwelt immer das Beste. Natur kann es aber auch sein. Auch Bilder haben so eine Stimmung oder ein Thema.

Du hast auch Musik für das Theater, ein in Deutschland im Gegensatz zu den Niederlanden sehr vernachlässigtes Genre, gemacht. Wie kommt man eigentlich daran und wie wird diese Musik von der GEMA bewertet?

Die Theatersachen sind nicht E-, sondern Bühnenmusik und die wird noch schlechter bezahlt, hat bei der GEMA den allerschlechtesten Status. Man kommt auch nur vom Hörensagen an diese Projekte, Ausschreibungen gibt es meistens nicht. Ich habe jetzt auch schon lange keinen Auftrag mehr bekommen. Ein Regisseur muss etwas suchen, und jemand muss wissen, dass es da jemanden gibt. Oft ist auch nicht genug Geld dafür da. Oder eine Bühne hat einen Haus-Musiker, der das dann machen muss.

Der Weg vom Theater zur Literatur ist sicherlich sehr kurz ?

Im Prinzip ja. Meine Literaturprojekte sind zeitlich etwas nach den Theaterdingen gekommen, vor allem die mit KontraSax. Eigentlich fängt das Musikalische mit dem richtigen Vortragen an. Es kommt darauf an, wie jemand etwas spricht.

KontraSax hat als rein musikalisches Projekt angefangen?

Ja. Wir haben Renate Fuhrmann kennen gelernt, die irgendwann einmal vorgeschlagen hat, etwas mit Texten von Gertrude Stein zu machen. Das Jelinek-Projekt ist eine Weiterentwicklung, bei der es direkt in das dramatische Geschehen hineingeht, auch die Musiker ins Geschehen eingreifen. Das Projekt ist gut angekommen, mit weiteren Buchungen hapert es aber leider.

Wie ist das denn mit der Vermittlung des United Women’s Orchestra? Wird man bei Anfragen eigentlich oft in so eine feministische Ecke gestellt?

Es gibt beides. Manche Jobs gibt es, die wir nur kriegen, weil wir eine Frauenband, andere die wir nie kriegen, weil wir es sind. Es gibt alles in den extremen Formen. Wir sehen es nicht als etwas Exotisches. Wir haben uns zusammengetan, weil es so etwas nicht gibt, Akzeptanz kam erst nach einer ganzen Weile. Es hat auch viele Wechsel gegeben. Manchmal waren diese notwendig, weil wir nicht mehr weiter kamen. Das hat allerdings auch Freundschaften gekostet. Und die Band ist auch in Bewegung, durch Veränderung der Lebensumstände.

Noch ein paar Fragen zu deinen Studienaufenthalten und deinen Stipendien: In Kanada hast du sicher viele positive Erfahrungen gemacht, in Banff wie auch in Vancouver?

In Banff war ich zweimal, zuletzt im vergangenen Jahr. Da habe ich Hugh Fräser getroffen und mit ihm gearbeitet. Mit ihm bin ich dann auch nach Vancouver gefahren, wo er dieses International Jazz Orchestra Event gemacht hat. Das war ein ziemlich abgefahrenes Projekt. Er stellte eine internationale Band zusammen, die jeden Abend ein anderes Programm spielte. Hugh Fraser hat mich dabei mit meinen Kompositionen oft gefeatured. Das war eine gute Erfahrung, mit anderen Bands zu arbeiten und ich habe das drei Jahre hintereinander gemacht. Auch Banff ist wunderbar, da spielst du Tag und Nacht, auch deine eigenen Sachen, wirst dazu ermuntert. Das war für mich genau richtig. Ich habe da auch ein eigenes Septett gehabt und geschrieben. So etwas wie den Campus dort gibt es nicht noch einmal in der Welt, viele Proberäume mit Instrumenten. Du kannst die ganze Nacht üben, in die Wälder gehen, in die Berge. Im letzten Jahr hat Fraser sein Projekt dann wieder nach Banff verlegt und einen offiziellen Workshop daraus gemacht. Dazu war Maria Schneider eingeladen als special guest. Und weil ich sie aus New York, der Zeit meines Stipendiums in 1999 kannte, bin ich dann auch wieder nach Banff gegangen. Sie ist schon eine tolle Person, arbeitet sehr viel, eine großartige Schreiberin. New York war überhaupt eine Inspiration. Ich musste mich aber auch um alles selbst kümmern. Ich habe versucht, bei verschiedenen Leuten Unterricht zu nehmen, bei Maria, die auch die wichtigste war oder Jim McNeely. Auch habe ich versucht, bei George Russell zu studieren, was aber nicht möglich war, da er offenbar krank war. Für mich ist er der Held, auch wenn sein Konzept schon uralt ist. Ich hatte nur mit seinem Assistenten zu tun, der ihn immer vertritt.

Wenn man so sieht, was du alles für Themen bearbeitet hast, Geschichten des Alten Testaments, Frauenfragen, Jelinek usw. stellt das ja eine große Breite dar. Gibt es da noch weitere Pläne?

Eine neue Bandkonzeption entwickle ich gerade, ein neues Quartett, mit Saxophon, Bass, Schlagzeug und Akkordeon mit Ulla Oster, Christoph Hillmann und Florian Stadier. Und auch mit KontraSax, dem Duo, gibt es Pläne.

Zum Abschluss noch etwas zur letzten CD des United Women’s Orchestra. Kannst du die Musik einmal mit deinen Worten beschreiben?

Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich mich nie zu dem sog. Big-Band-Sound hingezogen gefühlt habe. Mit orchestralen Aspekten zu arbeiten, ist für mich wichtig. Die Ideen und Konzepte meiner Kompositionen nenne ich “Soundscapes”, hinter denen sich Geschichten, Bilder, Atmosphären, Stimmungen, Reisen in verschiedene Welten verbergen. Solche Ideen führen zwangsläufig zu anderen harmonischen und klanglichen Konzepten, zu Formen, die sich auf der Zeitebene ausdehnen lassen. Für jede neue Komposition versuche ich, ein neues Konzept anzuwenden, eine wirklich neue Geschichte zu erzählen. In “Netsuke” zum Beispiel habe ich eine harmonische und melodische Miniatur benutzt, die in horizontaler und vertikaler Augmentation in der Zeit gestreckt wird. Die klassische Funktionsaufteilung in “sections” wird auf den Kopf gestellt, der Holzbläsersatz übernimmt Rhythmusgruppenfunktion und umgekehrt. Anleihen an den “Third Stream” werden deutlich. Die “Virgo Supercluster Suite” ist eine virtuelle Reise durch das Universum. Ich beziehe mich dabei auf die phantastischen Bilder des Hubble Space Telescope und George Russells “Lydian Chromatic Concept”. “Leonie” spiegelt das Innenleben eines sehr lebendigen Kindes, das sich jeder Kontrolle zu entziehen sucht und jeden Plan zerstört. Unerwartete Strukturen im Arrangement stehen hierfür. In “lydisch Blau” geht es um Schönheit an sich und im Speziellen um eine Farbe - Blau -, die ich mit den Kunstwerken von Yves Klein in Verbindung bringe. “Lost one” ist wohl mit Abstand die persönlichste Komposition. Sie integriert den Atem als zentrale Lebensfunktion in die musikalische Sprache. Zeitstrukturen sind Atemstrukturen. Die Geschichte erzählt von den Gegensätzen Glück und Trauer. Die Band wird aber letztlich zum Jazz Orchestra durch das Element der Improvisation gemacht, das für den emotionalen Gehalt der “Soundscapes” verantwortlich ist. Der Improvisator oder die Improvisatorin erzählen die Geschichte immer wieder auf andere Weise, denn wer will denn dieselbe Geschichte mehrfach hören.

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